Partnerstädte - eine völkerverbindende Idee oder Modeerscheinung ?

Wo immer man heute das Ortsschild einer zumindest mittelgroßen Stadt passiert, fällt auf, dass dieser Ort eine oder mehrere Partnergemeinden, meistens im westlichen Europa, aufzuweisen hat. Partnerschaften sind auch im heimischen Raum keine Seltenheit mehr, und so nimmt es nicht Wunder, dass auch Dillenburg seit 1989 eine Partnerstadt hat, nämlich Hereford, gelegen in den westlichen Midlands nahe der Grenze nach Wales.

Die Geschichte begann ca. 1970, als Lehrer des Technical College aus Hereford nach einer Partnerschule in Deutschland Ausschau hielten. Es war mehr oder weniger Zufall, dass sie die Sauerlandlinie ausgerechnet in Dillenburg verließen, weil ihnen die Landschaft so gut gefiel. Sie gingen ganz einfach zum Leiter der Beruflichen Schulen in Dillenburg und fanden bei ihm ein offenes Ohr. Von da ab gab es einen regelmäßigen Austausch zwischen den beiden erwähnten Schulen. Die eigentliche Partnerschaft zwischen beiden Städten kam aber erst zu Stande, als sich der damalige Bürgermeister von Dillenburg ernsthaft um die Angelegenheit kümmerte.

Die Idee war, zweigleisige Beziehungen aufzubauen, einmal auf der Ebene der Stadt (offizielle Ebene), und außerdem mittels einer neu zu gründenden Deutsch-Englischen Gesellschaft, zusammen gesetzt aus interessierten Bürgern von Dillenburg und Umgebung. Im Januar fand eine vom Bürgermeister einberufene Veranstaltung in der Stadthalle statt, anlässlich derer die Gesellschaft ins Leben gerufen wurde. Bereits zwei Wochen später traf die erste Delegation aus Hereford ein; im Mai gleichen Jahres fand die erste Ratifizierung der Partnerschaftsurkunde in Hereford statt, im November darauf die zweite in Dillenburg.

Welches sind nun die Ziele einer Partnerschaft? Täglich hören wir von dem historischen Auftrag, ein geeintes Europa zu schaffen und die Jahrhunderte langen Feindseligkeiten zu überwinden und zu vergessen. Europäisches Denken heißt Grenzen überschreiten. Deshalb sind Partnerschaften über Grenzen hinweg das wirksamste Mittel, eine wahrhaft europäische Gesinnung und Toleranz zu entwickeln. Partnerschaften sind daher ein Mosaikstein im Gesamtgefüge eines einheitlichen Europas, frei von nationalen Interessen, von Vorurteilen gegenüber anderen mit einer anderen Kultur.

Die Verwirklichung dieser Ziele wird nur dann gelingen, wenn es zu einem regen und ständigen Kontakt zwischen Bürgern beider Städte kommt. Ansätze dazu sind vorhanden, basierend vor allem auf der Initiative der Deutsch-Englischen Gesellschaft und Schulen. Als hinderlich erweist sich immer noch die Tatsache, dass zu wenige Menschen überhaupt von der Existenz der Städtepartnerschaft wissen und zu viele Menschen lieber in einem - eher anonymen - Hotel unterkommen. Wer jemals die Gastfreundschaft in einer englischen Familie erlebt hat, wird bestätigen, dass Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Toleranz gegenüber anderen groß geschrieben werden.

Deshalb bin ich überzeugt, dass Partnerschaften eine völkerverbindende Idee - und keine Modeerscheinung - sind. Es hat sich nämlich in der Vergangenheit gezeigt, dass alle Friedensbemühungen der europäischen Großmächte nach den kriegerischen Auseinandersetzungen der Neuzeit, angefangen vom Dreißigjährigen Krieg, scheitern mussten, weil sie auf einer fragilen Basis beruhten, nämlich der balance of power zwischen den Siegermächten. Jede noch so kleine Verschiebung dieses Gleichgewichts führte unweigerlich zu neuen Konflikten. Ein geeintes Europa auf der Basis einer Massenbewegung von Partnergemeinden wäre sicher die bessere Lösung. Dillenburgs Beitrag in diesem Konzert ist der Ausbau der freundschaftlichen Beziehungen zu Hereford.

Ulrich Mai
Vorsitzender der DEG Dillenburg